In den letzten Wochen hat sich Nervosität am Aktienmarkt breit gemacht. Der Grund: Die Zinssätze am langen Ende steigen – und das rasant wie selten zuvor. Die Kurzfrist-Zinsen sind davon kaum betroffen, die werden ja durch die Notenbanken bestimmt – und die Notenbanken werden die Kurzfrist-Zinsen noch lange niedrig halten. Die Zinsen für 10-Jahres-US-Staatsanleihen haben sich aber in den letzten Monaten seit dem Tief im Sommer 2020 verdreifacht! Das klingt natürlich spektakulär – in absoluten Zahlen ist das aber nur ein Anstieg von 0,5% auf heute etwa 1,5%. So gesehen ist das nur eine Normalisierung einer unnatürlichen Situation. Man muss da ja den großen Kontext sehen. Die Zinsen sind in den letzten 40 Jahren auf noch vor wenigen Jahren nicht vorstellbare Tiefs gesunken.
Der Anstieg in den letzten Wochen (ganz rechts im Schaubild) hat den Langfristzins in den USA gerade mal wieder auf den Stand gebracht, der in den Jahren 2011 bis 2020 die Untergrenze dargestellt hat. Wir haben also keineswegs hohe Zinsen – sondern nur eine Normalisierung auf niedrigem Niveau.
Die Situation im Euro-Raum ist im übrigen noch ausgeprägter. Die Tiefstkurse der Zinsen lagen bei deutschen 10-Jahres-Staatsanleihen bei ca. minus 0,7% (!!). Hier ist der Zinssatz in den letzten Wochen auf („nur noch“) minus (!) 0,35 gestiegen. Bei Negativ-Zinsen in allen Laufzeitbereichen kann man wirklich nicht von einer Zinsbelastung sprechen. Wenn man für 10-Jahres-Anleihen wieder positive Renditen bekommen würde, wäre das nur normal.
Auf der anderen Seite führen diese niedrigen Zinsen dazu, dass immer mehr Geld auch in den Aktienmarkt fließt. Und es führt dazu, dass Wachstumsunternehmen die Gewinne erst in ferner Zukunft machen, an der Börse sehr hoch bewertet werden (das warten auf die Gewinne kostet ja keine Opportunitätskosten). Steigende Zinsen ändern aber diese Bewertungsrelationen. Der stark von Wachstumswerten geprägte Nasdaq-Index ist folgerichtig in den letzten zwei Wochen im Februar auch um 6,5% gesunken. Auf der anderen Seite sind Unternehmen, die stärker von der aktuellen Konjunktur abhängig sind, gefragt gewesen. Auch das ist begründbar. Wenn die Corona-bedingten Beschränkungen im zweiten Halbjahr 2021 fallen werden, dann wird auch der Konsum und damit die Konjunktur anspringen. Geld ist ja genug vorhanden bzw. von den Staaten mit vollen Händen verteilt worden. Im letzten Jahr sind per Saldo 585 Mrd. Euro (!!) neu auf Giro- und Sparkonten in der Eurozone geflossen. Damit ist das Sparvolumen im Währungsraum um 48 Prozent zum Vorjahr gewachsen (vgl. hier). Steigende Preise für Rohstoffe (z.B. Kupfer), Lieferprobleme für Chips (die sogar eine zeitweilige Einstellung der Produktion in Autofabriken zur Folge haben), lange Lieferzeiten für Möbel, fehlende qualifizierte Arbeitskräfte … alles das sind Indikatoren dafür, dass wir vor eine konjunkturellen Entwicklung stehen, die deutlich positiver sein könnte, als die meisten heute glauben, die aber auch zu einer höheren Inflation führen dürfte.
Dass es nach Abebben der Corona-Einschränkungen zu Nachholeffekten kommen wird, ist weitgehend unbestritten. Inwieweit das – zusammen mit der extremen Ausweitung der Geldmenge – auch inflationäre Entwicklungen haben wird, ist dagegen nicht so klar. Ich hatte in einem früheren Beitrag ja bereits ausgeführt (vgl hier), dass die Geldschwemme alleine keine Inflationsgefahr darstellt. Im Zusammenhang mit starkem Konsum und hoher Investitionsneigung kann das anders aussehen. Einerseits wird sich durch diese Aufholeffekte die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erhöhen und andererseits wird die steigende Nachfrage auf ein relativ rigides Angebotsvolumen treffen. Beides ist inflationstreibend.
Im Hinblick auf das Angebotsvolumen kann man noch argumentieren, dass die produktiven Strukturen – auch durch die Staatshilfen – mehr oder weniger intakt geblieben sind. Ein Hochfahren ist damit viel einfacher möglich (und ohne inflationstreibend zu sein), als wenn solche Strukturen neu aufgebaut werden müssen. Andererseits sind aber einige strukturelle Megatrends jetzt absehbar, die die inflationäre Entwicklung befeuern.
- Die Corona-Krise hat der Globalisierung (zusätzlich zu den schon bestehenden – und insbesondere von Ex-Präsident Trump befeuerten – Handelskonflikten) einen Dämpfer versetzt. Und genau diese Globalisierung hat in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass wir immer billiger produzieren konnten. Der Anteil der weltweiten Exportgüter, die in China (extrem billig) erzeugt werden, stieg von knapp über null Prozent im Jahr 1990 auf heute 25 bis 30 Prozent an. Das wird sich natürlich nicht von heute auf Morgen umkehren, aber der Fokus ist jetzt ein anderer. Es geht jetzt um die Wiederansiedlung von Produktion in der Nähe und die Absicherung der Lieferketten. Das wird die Kosten und damit die Preise erhöhen.
- Ein zweiter Faktor ist die Demographie: In Europa und Nordamerika kommen die Babyboomer langsam in das Pensionsalter. Und in China versiegt der stetige Zustrom billiger Wanderarbeiter aus den Landregionen in die Städte. Die Geburtenraten sind niedrig und der entlastende Effekt immer höherer Anteile von Frauen im Erwerbsleben steigt auch nicht mehr an. Und eine höhere Migrationsrate – die auch ein Ventil sein könnte – ist politisch in den westlichen Industrieländern nicht durchsetzbar. All das führt dazu, dass Arbeitskräfte knapp – und damit teurer – werden. Mit den derzeitigen Arbeitslosenzahlen ist das ja kaum vorstellbar und die Entwicklung wird nicht alle Bereiche betreffen. Aber in Summe werden die Unternehmen deutlich mehr zahlen müssen, insbesondere um gut ausgebildete Arbeitskräfte zu finden und im Unternehmen zu halten. Diese höheren Lohnkosten werden sich in höheren Preisen niederschlagen (müssen).
Das bedeutet jetzt nicht, dass das Schreckgespenst einer galoppierenden Inflation vor der Türe steht und plötzliche Geldentwertung droht. Vielen Menschen ist aber nicht bewusst, dass auch eine höhere „normale“ Inflation langfristig extreme Geldentwertungen mit sich bringt. Bei einer angenommenen Inflationsrate von 4% haben sich die Preise nach 10 Jahren schon um 50% erhöht und nach 17 Jahren kann man mit dem selben Betrag gerade noch die Hälfte kaufen. Vor diesem Hintergrund ist es illusorisch mit normalen Nominalveranlagungen (d.h. Sparen oder Anleihen) eine funktionierende Altersversorgung aufbauen zu können. Selbst wenn in diesem Szenario die Zinsen auf 4% steigen würden (was absolut nicht absehbar ist), würden die Steuern und die damit verbundenen negativen Netto-Realzinsen eine Vermögensaufbau verhindern.
Mit der Beteiligung an Sachwerten und dem Produktivkapital der Wirtschaft (und das sind Aktien) kann man sich diesem Szenario entziehen. Auch in diesem Szenario werden erfolgreiche Firmen Kapitalrenditen erwirtschaften, die weit über den Nominalzinsen liegen und damit Unternehmenswert schaffen.
Ich persönlich glaube aber auch, dass wir jetzt an einem Wendepunkt in der Entwicklung der Börsenkurse stehen könnten. In den letzten Jahren haben Wachstumsaktien viel besser performt als Value-Titel. Mit der Beteiligung an traditionellen Unternehmen konnte man kaum mit der Entwicklung der Indizes mithalten. Das war aber nicht immer so und es könnte sich jetzt wieder ändern:
Die Outperformance von Growth gegenüber Value (rote Pfeile im Schaubild) war in den letzten 10 Jahren sogar größer als vor der Internet-Blase im Jahr 2000. In den darauf folgenden 10 Jahren 2000 bis 2010 haben dagegen Value-Titel die Nase vorne gehabt (blauer Pfeil). Jetzt könnte sich das wieder umdrehen und nach 10 Jahren Outperformance von Wachstumsaktien könnten diese über steigende Zinsen Gegenwind spüren. Die Wahrscheinlichkeit, dass in der nächsten Dekade Value-Titel die Nase vorne haben werden ist sehr groß.
Das bedeutet natürlich nicht, dass jede Aktie der Old-Economy gut läuft und jedes Software-Unternehmen schlecht. Es ist aber natürlich viel leichter in einem Umfeld mit Rückenwind schnell zu segeln, als wenn man mit Gegenwind kämpft.
Für die Kapitalallokation von VERUS hat diese erwartete Trendumkehr jetzt keine grundlegende Änderung zur Folge. VERUS hat auch in der Vergangenheit immer Value-Titel im Fokus gehabt (auch wenn eine Hypoport mit der heutigen Bewertung da nicht mehr dazu zählt). Eine wichtige Konsequenz ist aber, dass unter anderem auch Finanzwerte bei VERUS wieder stärker in den Fokus rücken werden. Banken und (Lebens-) Versicherungen waren zum Beispiel im gegebenen makroökonomischen Umfeld einfach unattraktiv für eine Investition. Das ändert sich jetzt. Und das freut mich, weil der Finanzdienstleistungsbereich absolut in meinen Circle of Competence liegt und ich hoffe, in diesem Umfeld einige attraktive Beteiligungen für VERUS eingehen zu können.