Update Agfa – es tut sich was

Agfa-Geavert – kommt jetzt Bewegung in die Sache?

Vor ein paar Tagen hat ein Kollege im Hinblick auf Agfa gemeint: „Jetzt kommt Bewegung in die Sache!“  Es schaut tatsächlich so aus!

Ich hatte Agfa ja bereits im November 2019 als Investment-Case vorgestellt (hier) und im August 2020 ein Update gemacht. Die Erwartungen, die ich damals hatte sind nicht ganz so aufgegangen, wie erwartete – zumindest noch nicht aufgegangen.  Der Kurs ist in dieser Zeit einfach in einer Spanne von 3,20 bis 4,40 gependelt – nur nach dem erfolgreichen Verkauf der Health-IT Sparte kletterte der Kurs kurzzeitig an die 5 Euro-Marke.

Trotz der unbeeindruckenden Kursentwicklung in den letzten 4 Jahren hat sich bei Agfa in der Zeit sehr viel getan. Und jetzt sieht es so aus, als ob ein weiterer großer Befreiungsschlag bevorsteht.

  • Am 20 Mai hat die Zeitung de Tjild gemeldet (hier), dass die Verkaufsverhandlungen über die Offset-Sparte in ein entscheidendes Stadium getreten sind und potenzielle Käufer ihre ersten konkreten Angebote eingereicht haben. Diese Kaufinteressenten sind – für mich überraschend – nicht die erwarteten Strategen (wie z.B. Lucky, Kodak, Fuij, etc), sondern sollen PE-Firmen sein.  Das Unternehmen nimmt zum Artikel zwar keine Stellung – aber dass so eine gezielte Information an eine Zeitung kommt, zeigt, dass der Prozess tatsächlich schon sehr weit fortgeschritten ist.
  • Eine Überraschung ist der Verkauf ja nicht. Der CEO hatte erst anlässlich des Q1-Ergebniscalls berichtet, dass die rechtliche Abspaltung des Offsetgeschäftes so gut wie abgeschlossen sei.  Die Frage ist jetzt, weshalb diese Entwicklung für Agfa so bedeutend ist?
  • Auf Offset entfielen im vergangenen Jahr 748 Millionen Euro Umsatz, was 43 Prozent des Konzernumsatzes von Agfa entspricht. Man verkauft damit fast die Hälfte des Geschäftes! Man verkauft aber auch ertragsmäßig ein Sorgenkind. Weltweit verwenden zwar fast die Hälfte aller Zeitungsdruckereien und fast drei Viertel aller Banknotendruckereien die Technologie von Agfa. Die Ergebnisse dieser Sparte (mit traditionellen Technologie und strukturellem Gegenwind) waren in der Vergangenheit aber unbefriedigend. Die konsequenten Restrukturierungsaktivitäten (Schließung zweier Werke, Organisationsanpassungen, Preisanpassungen, etc.) haben zwar das Ergebnis wieder in den positiven Bereich gebracht. Eine Ertragsperle sieht aber anders aus. Zudem liegen in diesem Teil des Geschäftes (aus der Vergangenheit geerbte) große Teile der Pensionsverpflichtungen. Man verkauft mit der Offset-Sparte damit auch ein Sorgenkind.
  • Die große Frage ist jetzt natürlich welcher Verkaufserlös für diese Sparte erzielt werden wird? Hier darf man zwar  keine zu großen Erwartungen haben – der Markt hat aber extrem niedrige Erwartungen. Im pessimistischsten Szenario bewertet Kepler dieses Segment mit  minus 265 Millionen Euro oder  minus 1,70 Euro je Aktie! (vgl. hier) Oder anders ausgedrückt – Kepler geht in diesem Szenario davon aus, dass die zu übernehmenden Verbindlichkeiten (d.h. Pensionslasten) um 265 Millionen Euro höher sind, als der Wert des operativen Geschäftes. Dass Agfa 265 Mio. draufzahlt, um die Sparte (mit ihren Pensionslasten) abstossen zu können, halte ich für ausgeschlossen. Ich gehe davon aus, dass eine Cash-neutrale Lösung die  Untergrenze darstellt. Wenn man für den Verkauf z.B. davon ausgeht, dass (Annahme) 70% der Pensionslasten (das wären dann 470 Mio.) sowie 170 Mio. an Segmentnettovermögen (lt. Bilanz 2021) aus dem Konzern ausgegliedert werden, dann würde das Eigenkapital des Konzerns in so einer Annahme netto um 300 Mio. ansteigen (Annahme kein Goodwill für Offset). Der Cash-Bestand bliebe konstant (400 Mio. per Ende 2021) und die Pensionsverpflichtungen würden von 670 auf 200 Mio. sinken.
  • Ich weiß natürlich nicht, ob diese Annahmen richtig sind – die Rechnung zeigt aber, dass hier das Potential besteht, dass (selbst, wenn man die Sparte nur gegen Schuldenübernahme abgibt) das Eigenkapital stark steigen würde (um 50% in der Beispielrechnung von 632 auf über 900 Mill) und die Net-Cash/Pensions-Verbindlichkeiten von minus 240 Mill. Euro (400 Net-Cash minus 670 Pensions) auf plus 200 Mill. Euro drehen würde.
  • Und das verbleibende Geschäft ist viel attraktiver und voll auf Digital ausgerichtet. Nach dem Verkauf von Offset wird Agfa weiterhin aus Healthcare IT (Aktivitäten in der medizinischen Bildgebung), Geräten und Software für radiologische Abteilungen von Krankenhäusern (Radiology Solutions) sowie Druckern und Tinten für industrielle Anwendungen (Digital Print & Chemicals) bestehen. In allen drei Segmenten steckt grundsätzlich Potential, die Ausgangslage ist aber doch sehr unterschiedlich.
    • Radiology hat in letzter Zeit geschwächelt – die schwierige Situation in China hat hier ihren Tribut gezollt.
    • Auch Healthcare IT leidet im Moment z.B. unter der hohen Kosteninflation, die erst zeitversetzt weitergegeben werden kann. Die Sparte ist aber sicher ein hochwertiges Asset. Der Auftragsbestand ist hoch und das Ziel einer EBITDA-Marge von 15-19% („high teens“) wurde erst wieder bestätigt.  Zusätzliche Phantasie könnte insbesondere dann entstehen, wenn die Auswertung von Bildern mit künstlicher Intelligenz in den Fokus rückt.
    • Bei Digital Print & Chemicals gibt es sehr gute Nachrichten. Mit der kürzlich erfolgten Akquisition (Inca Digital) wurde der Bereich großflächiger Digitaldruck gestärkt. Und damit auch die Möglichkeiten, die profitablen Tinten und Verbrauchsmaterialien zukünftig von Agfa liefern zu lassen. Sehr vielversprechend sind auch die Aktivitäten im Bereich Membrane für die Wasserstofferzeugung (Zifron). Grüner Wasserstoff ist ein Schlüssel zur Erreichung von Net-Zero Emissionszielen bis 2050. Wenn man die angekündigten Projekte für die Wasserstoffwirtschaft berücksichtigt, dann schätzt Agfa den „addressable Market“ für die auf Alkaline-Elektrolyse basierenden Zifron-Membrane auf 1 Mrd.  Euro bis in 10 Jahren! Jetzt ist natürlich noch nicht absehbar, wieviel Agfa davon für sich gewinnen kann – die Chancen stehen aber gut, dass Agfa hier einen erheblichen Marktanteil erzielen kann.

Trotz der guten Nachrichten im Hinblick auf Zifron, ist Agfa in Summe natürlich nicht die tolle Quality-Company, mit stetigem Wachstum, einem hohen Burggraben gegen Wettbewerber und hohen Margen. Agfa ist ein Restrukturierungs-Case, der jetzt aber schon weit fortgeschritten ist und der von Akteuren vorangetrieben wird, die ein klares Shareholder-Interesse haben. Der Verkauf der Health-IT Aktivitäten um fast eine Mrd. Euro war der Befreiungsschlag, der diese Restrukturierung möglich gemacht hat. Mit dem Verkauf des Offset-Bereiches wird man jetzt das Sorgenkind los. Und dann wird es um die Verwertung der Rest-Sparten gehen. Zugleich werden auf dem niedrigen Niveau eigene Aktien zurückgekauft und eingezogen. In Summe hat sich die Zahl der ausstehenden Aktien immerhin in den letzten 3 Jahren um  12,4 Mio. Aktien bzw. 7,4% des Grundkapitals vermindert.

Die kritische Frage ist – was für den Aktionär am Ende als Ergebnis der Restrukturierung herauskommen wird. Bisher ist ja z.B. noch nichts von dem aus dem Health-IT Verkauf zugeflossene Cash an die Aktionäre ausgeschüttet worden.  Sobald Details aus dem Verkauf von Offset bekannt werden, wird man hier neu rechnen müssen. Wenn man die Annahmen aus der vorher angestellten Beispielrechnung nimmt, dann kommt man jedenfalls auf sehr attraktive Aussichten auf die nächsten 2-3 Jahre.
  • Netto-Cash-Bestand entspricht schon 2,5 Euro je Aktie. Dem würden dann nur noch 1,25 Euro an Pensionsverpflichtungen gegenüberstehen.
  • Bei einem Kurs von knapp 4 Euro entspricht die Bewertung von Agfa etwa 630 Mill. Euro … der Enterpreise-Value (mit den getroffenen Annahmen) wäre dann nur noch bei 430 Mill Euro (200 Mio. „Net-Net-Cash“ nach Pensionsverpflichtungen).
  • Der Umsatz der verbleibenden Sparten entspricht etwa einer Mrd. Euro. Die EBITDA-Marge liegt derzeit nur bei ca. 14% – die sollte (vor allem aus Health-IT) auf 15% bis 18% steigen. Wenn man bei einer Durchschnitts-Marge von 15% nur ein durchschnittliches Multiple von 8 ansetzt, dann entspricht das einer Bewertung von  1.200 Mill. oder 7,5 Euro je Aktie. Wenn man 10xEBITDA ansetzt, dann wären es schon 9,3 Euro je Aktie
  • Umgerechnet auf den Aktienkurs (Equity-Value) würde sich daraus ein realistischer Wert von 9 bis 10 Euro je Aktie ableiten lassen.

Diese Zahlen basieren wie gesagt auf einer reinen Annahme für den Offset-Deal. Je nachdem was dort vereinbart wird, kann sich diese Rechnung nochmals deutlich verschieben. Und es ist jedenfalls auch nicht davon auszugehen, dass das über Nacht passieren wird. Dazu muss Agfa zuerst liefern – in Form des Verkaufs von Offset zu einem attraktiven Preis und in Form der Weiterentwicklung der anderen Sparten. Ich gehe aber schon davon aus, dass über die nächsten Wochen und Monate Bewegung in die Entwicklung kommen wird. Natürlich wird man von Seiten des Großaktionärs versuchen, den Ball so lange wie möglich flach zu halten, damit man weiterhin günstig eigene Aktien einsammeln kann. Das kommt aber allen Aktionären zugute und Geduld zahlt sich damit hier auch weiterhin aus. Der Investor in Agfa hat jedenfalls eine große Chance, dass er in den nächsten Monaten auch dann einen Out-Performance im Depot sehen wird, wenn die Märkte wieder verrückt spielen sollten (was nicht auszuschließen ist).