Im Moment werde ich oft gefragt, ob die Korrektur zum Ende des letzten Jahres es „jetzt schon gewesen sei“, oder ob das die Vorboten eines richtigen Bärenmarktes gewesen sei? Die Antwort darauf weiß ich leider genauso wenig, wie alle anderen Investoren – auch wenn es Viele gibt, die glauben, sie könnten den Markt timen. Der Markt ist immer ein Gleichgewicht beider Erwartungen. Investoren verkaufen und „gehen in Cash“, weil sie glauben, dass es „abwärts“ gehen wird. Und andere Investoren kaufen Aktien, weil sie daran glauben, dass es „aufwärts“ gehen wird an der Börse.
Natürlich wäre es toll, wenn man in die Zukunft sehen könnte. Nachdem das aber niemand kann, ist die Frage der kurzfristigen Marktschwankungen für VERUS (und alle anderen Value-Investoren) eigentlich irrelevant. Was wir wissen ist, dass auch auf einen Bärenmarkt wieder ein Bullenmarkt mit steigenden Notierungen folgen wird. Und wir wissen, dass langfristig durch die Partizipation an der Innovationskraft und der Produktivitätssteigerung der Wirtschaft, ein Aktien-Anleger eine Markt-Rendite von 7%-9% p.a. erwarten darf. Wenn es gelingt, sich an den überdurchschnittlich erfolgreichen Unternehmen zu beteiligen, dann sind Wertsteigerungen von deutlich über diesem Marktdurchschnittswert zu erzielen. Alle erfolgreichen (und wohlhabenden) Unternehmer sind ein lebender Beweis dafür.
Der Weg das erfolgreich umzusetzen, ist allerdings steinig.
Als ersten Schritt muss ich als Investor ein Unternehmen finden, dem ich nach eingehender Analyse eine sehr gute Zukunft prognostiziere
Dann muss der Preis passen. Nur wenn dieser Preis, den ich für das Unternehmen bezahle, mir eine ausreichende Sicherheitsmarge bietet, kommt das Unternehmen als Investment in Frage. Der Preis muss also deutlich niedriger sein, als der von mir geschätzte faire Preis. Solche Fehlbewertungen kommen immer dann zustande, wenn die Erwartungen der Investoren (zu) niedrig sind. Technologieaktien wurden wurden z.B. während er Internet-Blase um die Jahrtausendwende zu Phantasiekursen bewertet – und zwei Jahre später konnte man die gleichen Unternehmen zu Kursen erwerben, die nicht einmal den Cash-Bestand auf der Bank repräsentiert haben.
Das Problem ist allerdings, dass man kaum einmal den richtigen Zeitpunkt für eine Investition erwischen wird. Wenn ich nach sorgsamer Analyse investiere und der Kurs des Unternehmens – das eh schon 30% vom Höchst billiger geworden ist – danach nochmal 20% einbricht. Habe ich dann einen Fehler gemacht? Nein, ich habe dann einen Fehler gemacht, wenn die die fundamentale Entwicklung des Unternehmens falsch einschätzte. Dass der Markt nicht sofort mit meiner Analyse übereinstimmt, ist eigentlich normal und erwartbar. Kurzfristige Kursreaktionen sind damit meistens irrelevant. Allerdings auch wenn es positiv läuft. Nur weil der Kurs eines Unternehmens direkt nach meiner Investition anspringt, bedeutet noch nicht, dass ich mit meiner Analyse recht hatte. Es bedeutet nur, dass auch andere Investoren die Erwartungen an das Unternehmen hochschrauben.
Auf diese Wirkung allgemein steigender Kurse aufgrund immer höherer Erwartungen in einem Bullenmarkt möchte ich noch eingehen: Steigende Kurse „lullen“ die Investoren ein. Jeder Kauf ist vermeintlich ein guter Kauf. Jeder Verkauf kurzfristig ein Fehler. In so einem Umfeld wird unser „Confirmation Bias“ immer weiter verstärkt, Investoren werden zu selbstsicher und gehen Risiken ein, die sie nicht tragen können. Wieso sollte man auch die eigenen Annahmen kritisch hinterfragen, wenn der Markt einem eh recht gibt?
Der Kursrückgang im 4. Quartal 2018 war da schon so ein wenig ein Weckruf. Eine Erinnerung, dass Investieren keinesfalls nur eine Einbahnstrasse ist und man als Investor auch für schlechtere Wetterlagen gerüstet sein muss. Als Value Investor versucht man diesem Problem damit auszuweichen, dass man Unternehmen kauft, die eine entsprechende Sicherheitsmarge – d.h. einen höheren Wert als den aufgerufenen Preis – aufweisen.
Dass das in Bärenmärken kurzfristig auch nicht hilft, zeigt z.B. eine Auswertung der Performance im Jahr 2018 nach Bewertungsklassen. Für die Grafik wurden die 1000 größten Gesellschaften in den USA je nach Bewertung am Jahresanfang in 5 Gruppen zu je 200 Unternehmen eingeteilt. Die Auswertung zeigt, dass die am niedrigsten bewerteten Gesellschaften im Jahr 2018 15% verloren haben, die am höchsten bewerteten Gesellschaften aber nur 2,8%. (Gesamt-S&P 500 -4,4%). Was schon günstig ist, wurde damit noch günstiger und was schon teurer war, wurde im Verhältnis noch teurer.
Nach diesem Bewertungsmaßstab war das Jahr 2018 das schlechteste Jahr für Value Investoren seit dem Platzen der Internet-Blase zur Jahrtausendwende. Die gute Nachricht ist: Value Titel hatten nach der Jahrtausendwende eine phänomenale Performance, weil diese Titel nicht nur von der allgemeinen Markterholung profitierten, sondern auch davon, dass von den Investoren wieder rationalere Bewertungsmaßstäbe angesetzt wurden.
Die oben angesprochene Entwicklung im Jahr 2018 ist emotional gut verständlich. Es ist einfacher mit den Gewinnern zu gehen, bei den Titeln zu bleiben, die in der Vergangenheit „funktioniert“ haben. Es ist schwer sich gegen die Masse zu stellen. Es gibt einen natürlichen Incentive jene Titel zu verkaufen, die schlechte Nachrichten haben, die eine schlechte Performance haben und die enttäuscht haben – egal wie billig ein Unternehmen bereits geworden ist. Diese menschlichen Eigenschaften führen dazu, dass Trends viel länger halten, als dies ökonomisch erklärbar ist – nach oben und nach unten.
Als Value Investor muss man deshalb bereit sein, solche Täler durchzustehen. Die Überrendite, die Value Investoren über Zeit erreichen, kommt nicht daher, dass diese den besseren Zeitpunkt für den Kauf oder Verkauf von Aktien kennen. Sondern daher, dass sie bereit sind über das Mitschwimmen im allgemeinen Markttrend (und das Investiert-Bleiben, wenn die Nacht gerade sehr dunkel ist) hinaus, in solche Firmen zu investieren, deren Zukunftsaussichten vom Markt zu negativ oder zu kurzfristig eingeschätzt werden. Schon Warren Buffett hat gesagt: Investors should „try to be fearful when others are greedy and greedy only when others are fearful”.
Wichtig erscheint mir dabei, dass es eben beide Fehl-Bewertungen gibt – die kurz und die langfristige.
Die kurzfristige Bewertungsdiskrepanz ist einfacher zu verstehen und zu identifizieren. Wenn eine Branche oder ein Unternehmen aufgrund unterschiedlichster Faktoren „out of favor“ oder eben „gerade in Mode“ ist, dann kann es solche Fehlbewertungen geben. Ich möchte da gerne ein Beispiel aus meiner eigenen Investoren-Geschichte anführen – die TeleAtlas.
Tele Atlas hat bereits vor der Jahrtausendwende digitale Karten erstellt, die in Navigationssystemen zum Einsatz kamen. Während der Technologieblase war der Hype sehr groß. Mit dem Platzen der Blase kam aber der Katzenjammer und es wurde nicht mehr das Riesen-Potenzial, sondern nur mehr der Umstand gesehen, dass Tele Atlas noch keinen Gewinn machte. Bis zum Jahr 2003 waren schon sehr, sehr hohe Beträge in den Aufbau der Geo-Datenbank geflossen. Die Erträge daraus waren aber noch nicht sichtbar. Der Pessimismus wurde im Zuge der Baisse so stark, dass die Aktie auf unter eine Euro fiel. Zu dieser Zeit war selbst der Bargeldbestand auf der Bank von TeleAtlas um 30% höher als die ganze Firma wert war – und die Firma war schuldenfrei.
- Zu diesem Zeitpunkt entschied ich mich zu kaufen (sehr wenig, weil ich auch Angst hatte, alles war sehr, sehr tief gefallen und alle Vorzeichen im Depot waren rot). Das war aber ein klarer Fall von hoher Sicherheitsmarge. Selbst wenn TeleAtlas eigentändig nicht erfolgreich gewesen wäre – für einen Wettbewerber wäre diese Firma zu einem viel höheren Preis immer noch günstig gewesen. In diesem Fall hatte ich das Glück, dass der Markt dann schnell drehte und auch TeleAtlas sehr schnell wieder anstieg. Mit „Siegerlächeln“ (damals hatte ich noch viel weniger Erfahrung) verkaufte ich meinen Bestand bereits 6 Monate später um den 4fachen Preis, zu dem ich gekauft hatte.
- Trotz dieses offensichtlichen Erfolges war diese Transaktion ein sehr großer Fehler. Ich habe den Wert von TeleAtlas zum Verkaufszeitpunkt nicht weiter hinterfragt, sondern nur deshalb verkauft, weil ich so günstig eingestiegen war und meinen Gewinn sichern wollte. Das war völlig irrational bzw. emotional und nicht sachlich objektiv. In der Folge hat sich TeleAtlas in den nächsten 3 Jahren nochmals versiebenfacht und wurde dann im Jahr 2007 um 2,9 Mrd. Euro von TomTom übernommen.
An dem Beispiel sieht man, dass es möglich ist, offensichtliche kurzfristige Fehlbewertungen zu erkennen. Diese gibt es aber vor allem in Marktphasen in denn Angst und Panik herrscht. In der derzeitigen Marktverfassung ist das schon viel schwerer und man muss sich immer fragen, welcher Grund dafür da ist, dass die Bewertung so niedrig ist. Corestate ist hier für mich ein Beispiel. Hier glaube ich, dass eine Fehlbewertung vorliegt. Die Tatsache, dass der Grund dafür für mich nicht offensichtlich ist, macht mich aber auch vorsichtig. Auch deshalb, wiel die Fehlbewertung rein auf den Gewinnaussichten beruht. Hier hat man es ja nicht mit Substanz zu tun, die jedenfalls (wie im Fall von TeleAtlas) eine Absicherung darstellt.
Die langfristige Bewertungsdiskrepanz entsteht dadurch, dass Investoren in überwiegender Zahl sehr kurzfristig denken und handeln. Da geht es immer um die Performance im nächsten Quartal, um die Gefahr vom Markt abgehängt zu werden und um die Vermeidung des Gefühls etwas zu versäumen. Als langfristiger Investor kann man dagegen in Unternehmen investieren, deren Perspektive im Moment vielleicht etwas getrübt ist, die aber langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich an Wert gewinnen werden. Mit Hypoport als Beispiel kann man vermutlich in den nächsten 2 Jahren keine Verdoppelung erreichen – aber die langfristigen Perspektiven sind so gut, dass ich auch zu 200 Euro nicht verkaufen würde und damit das Risiko eingehen würde, dass der Zug ohne mich weiterfährt. Bei TeleAtlas hätte ich anstelle zu verkaufen, mich fragen müssen, wie diese Firma in 5 oder 10 Jahren dastehen wird. Und die Wahrscheinlichkeit, dass das TeleAtlas eine sehr gute Zukunft hatte, wäre damals gut abschätzbar gewesen. Digitale Karten waren eine ganz notwendige Information für viele Anwendungen, es gab nur 3 Anbieter und der Neuaufbau einer Datenbank hätte viel höhere Kosten verursacht als die Firma damals an der Börse wert war.
Der Vorteil einer Investition in eine großartige Firma zu einem guten Preis (langfristige Diskrepanz) ist, dass der Investor immer die Zeit auf seiner Seite hat. Selbst wenn man ein wenig zu viel zahlt, auch wenn der Markt für einige Zeit auf Tauchstation geht. So eine Firma wächst in die Bewertung hinein und wird über Zeit auch wieder positiv eingeschätzt werden. Immer vorausgesetzt natürlich, man hat die richtige Einschätzung der Zukunft dieser Firma gemacht.
Um als Value Investoren erfolgreich zu sein, wird es immer darum gehen, flexibel beide Situationen nutzen zu können. Im Moment ist es sehr schwer Kurzfrist-Value-Werte zu finden. In turbulenteren Zeiten wird es sicher wieder viel mehr davon geben. D.h. um auf die Eingangsfrage zurückzukommen – unabhängig von der Marktsituation ist es möglich sich als Value-Investor so zu positionieren, dass langfristig eine überdurchschnittliche Performance erzielt werden kann. Kurzfristig bedeutet das aber auch, dass man bereit sein muss, Zeiten durchzustehen in denen man als Außenseiter dasteht, man schlechter abschneidet als der Markt bzw. man auch negative Performance aufweist. Nur wenn man emotional damit umgehen kann und den Investitionsprozess langfristig und konsequent umsetzt – kann man Value Investing erfolgreich praktizieren.
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Investment Lessons by Warren Buffett and Charlie Munger:
“Investing is simple, but not easy“
“Life is like a snowball. The important thing is to find wet snow and a really long hill.”