Die meisten Anleger sind „kurzsichtig“. Fast alle konzentrieren sich auf das „heute“, das „nächste Woche“ und vielleicht noch das „nächsten Monat“. Die Berichterstattung in den Medien dreht sich fast immer um kurzfristige Bewegungen. Die Empfehlungen in Aktienbriefen argumentieren, wieso dieses oder jenes Unternehmen genau in den nächsten paar Monaten gut performen wird. Markttechniker erklären, wie die Entwicklung der Börse in den nächsten Tagen und Wochen sein wird und dabei wird dem Leser vorgegaukelt, der Autor wisse tatsächlich, wie die Kursentwicklung in dieser kurzen Prognose-Zeitspanne sein wird.
Ich bin absolut überzeugt, dass das reine Kaffeesatzleserei ist. Das Interessante dabei ist: Die langfristigen Entwicklungen- sowohl der Börse als Ganzes, als auch einzelner Unternehmen – kann man sehr wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit einschätzen! Das klingt auf den ersten Blick konter-intuitiv. Meistens im Leben ist es ist viel leichter vorherzusagen, was nächste Woche oder nächsten Monat passieren wird und viel schwerer einzuschätzen, wo man in 5 oder 10 Jahren stehen wird. An der Börse ist es umgekehrt! Die Kursbewegung in den nächsten paar Wochen ist rein zufällig – die Kursentwicklung über 5 Jahre folgt dagegen klar der Wirtschafts- und Unternehmensentwicklung. Und die kann man tatsächlich einschätzen – zumindest für die Unternehmen, deren Geschäftsmodell und wirtschaftliches Umfeld man versteht.
Und trotzdem versuchen so viele Anleger Geld damit zu verdienen, dass Sie eine Aktie (die in den nächsten Wochen angeblich steigen soll) kaufen, um diese dann nach ein paar Monaten zu einem erhofften höheren Kurs wieder zu verkaufen. Das funktioniert auch manchmal – als System taugt es aber nicht. Dieses Hin- und Her-Handeln ist (kurzfristig) nämlich ein Null-Summenspiel. Mit (fast) derselben Wahrscheinlichkeit wird die Aktie nämlich fallen und wird der Anleger einen Verlust machen. Die Gewinne der einen sind die Verluste der andern. Dauerhaft gewinnen könnte man mit dieser Strategie nur dann, wenn man wirklich ein bessere kurzfristige Einschätzung hätte, als der Rest der Marktteilnehmer. Das erklärt auch, wieso dieses „Spekulieren“ trotzdem so beliebt ist. Genau deshalb, weil die meisten Anleger tatsächlich glauben, dass er oder sie „es“ besser können als der Markt. Das ist ein typisches Beispiel des Over-Confidence-Bias. Das ist der gleiche Effekt, wie wenn in der Befragungen von Autofahrern (vgl. z.B. Svenson) herauskommt, dass 80% der Fahrer glauben, zu den besten 30% der Fahrer zu gehören. Dass das mathematisch nicht geht, ist offensichtlich. Trotzdem ist dieses Überschätzen der eigenen Fähigkeiten vorhanden und real. Und es führt an der Börse dazu, dass die Anleger (gerade solche mit weniger Erfahrung) mit einer falschen Strategie investieren und sich dann in vielen Fällen bei Misserfolg enttäuscht wieder zurückziehen.
Viel zum Verständnis der (für mich) richtigen Strategie trägt das Gleichnis vom Spaziergänger mit dem Hund bei – das auf den Börsenaltmeister Kostolany zurückgeht – und das ich an der Stelle gerne nochmals erläutern möchte (vgl. auch hier). Kostolany vergleicht dabei die Kurse an der Börse mit einem nervösen Hund, der einmal vorausläuft, um dann abrupt wieder zurückzurennen. Dieses Spiel wiederholt sich öfters – die Bewegungen des Hundes sind dabei erratisch und nicht prognostizierbar. Was allerdings schon gilt: Die Bewegungen des Hundes sind immer um sein „Herrchen“ herum konzentriert. D.h. wenn sich dieses „Herrchen“ als Spaziergänger weiter bewegt, dann verändert sich damit auch der Erwartungswert der Position des Hundes. Auf kurze Distanz ist das nicht sichtbar. Nehmen wir an, man sieht nur den Hund – nicht aber den Spaziergänger: Wenn der Spaziergänger sich 5 Meter bewegt hat, der Hund aber immer 100 Meter vorausläuft oder hinterherhinkt, dann kann man aus der Position des Hundes nicht ablesen, inwieweit der (unsichtbare) Spaziergänger sich bewegt hat. Wenn nach einer Stunde der Spaziergänger aber z.B. 4 Kilometer gelaufen ist – dann wird der Hund je nach Start- und Endpunkt zwischen 3,8 und 4,2 Km weiter gelaufen sein. Nach dieser Sichtweise ist die erratische Bewegung des Hundes plötzlich fast irrelevant im Verhältnis zur Bewegung des Spaziergängers.
So ist es auch an der Börse. Natürlich ist es schön, wenn man eine Aktie kauft und diese gleich in den ersten Wochen 25% im Plus steht. Das ist aber nicht absehbar und langfristig auch irrelevant. Wichtig ist, dass sich das Unternehmen über einen langen Zeitraum stark weiterentwickelt. Wenn die 25% Kurssteigerung nur einer Bewegung des Hundes entsprechen, dann ist das Zufall und Glück. Ich hatte z.B. im August die Aareal-Bank als Investment-Case vorgestellt (vgl. hier). Dass der Kurs innerhalb von ein paar Wochen aufgrund der Übernahmephantasie 30 Prozent höher steht, war nicht absehrbar. Wenn ein Unternehmen nach 5 Jahren aber dreimal so viel wert ist, dann ist das der zugrundeliegenden Entwicklung des Unternehmens geschuldet und kein Zufall.
Das Ziel eines Investors (im Gegensatz zu einem Spekulanten) muss es deshalb sein, solche Unternehmen zu identifizieren, die sich schnell und lange in die Zukunft entwickeln. Und wenn man diese dann zu einem vernünftigen oder sogar temporär stark gedrückten Preis bekommt, dann ist das ein gutes Investment. Im letzten Monat habe ich drei Unternehmen vorgestellt, die im Moment ungeliebt sind, die aber bei einer langfristigen Betrachtung sehr erfolgversprechend sind (vgl. hier). Trotz der positiven Entwicklung bisher, kann man da natürlich noch nichts darüber sagen, ob diese meine Einschätzungen richtig waren.
Ich möchte deshalb auf ein paar Alt-Investments von VERUS eingehen und in Form eines Updates prüfen, ob sich diese Unternehmen tatsächlich so weiterentwickelt haben, wie von mir damals erhofft.
Ein erstes Beispiel ist Hypoport, die sich seit Auflage Anfang 2016 im Depot der VERUS befinden (vgl. den Case und Updates dazu hier, hier und hier).
Dass Hypoport sich an der Börese extrem gut entwickelt hat, ist offensichtlich. Aber wie hat sich Hypoport als Spaziergänger entwickelt?
Im Jahr 2010 wurden 67 Mio. Umsatz gemacht. Im Jahr 2015 waren es schon 139 Mio. Das entspricht einem Wachstum von 15,7% p.a. Das Ergebnis vor Steuern (EBT) ist in dieser Zeit sogar 31,8% p.a. von 5 auf 19 Mio. gesteigert worden. D.h. bis zur Entscheidung, Hypoport in das Depot zu nehmen, war Hypoport als Unternehmen schon über Jahre erfolgreich unterwegs gewesen. Wir hatten es mit einem Spaziergänger zu tun, dessen körperliche Fitness zu der Zeit klar signalisiert hatte, dass das Unternehmen sich erfolgreich weiterentwickeln würde.
In den Jahren 2015 bis 2021 – der Zeit des VERUS Investments – stieg der Umsatz von 139 Mio. entsprechend auch auf 452 Mio. (2021erw). Das ist eine Steigerung von beeindruckenden 25% p.a. Das Ergebnis stieg von 19 Mio. auf 58 Mio. – das ist ein Wachstum von 20,5%. Der Rückgang der EBIT-Marge zeigt, dass in dieser Zeit – wie auch in den Jahren vor 2015 – sehr viel in Wachstum investiert worden ist. Diese Marge von dzt. nur 11% bildet das Ertrags-Potential von Hypoport deshalb auch in keiner Weise ab. Hypoport ist immer noch in den meisten Geschäftsfeldern in einer Phase, in der es vor allem um die Besetzung des Feldes geht. Das beginnt aber langsam zu drehen. Europace z.B. skaliert bereits sehr schön. In den ersten 6 Monaten 2021 lag die EBIT-Marge – trotz des 12%-Wachstums bereits bei 22,4%, was noch keinesfalls das Ende der Fahnenstange bedeutet. Die Versicherungsplattform und auch die Immobilienplattform haben dagegen aufgrund der Investitionen in das Wachstum noch negative EBITs ausgewiesen. Die heutige Durchschnitts-EBIT-Marge sagt damit wenig über die potentielle Ertragsstärke von Hypoport aus (und das rein rechnerische KGV ist vor dem Hintergrund auch nicht aussagekräftig).
Die Frage heute ist: Was ist die Erwartung für die nächsten sieben Jahre bis 2030. Ich gehe davon aus, dass das Wachstum zumindest zwischen 15% und 17,5% liegen wird (dabei sind auch ein paar Übernahmen möglich). Der Umsatz würde mit diesen Annahmen im Jahr 2030 bei 1,8 bis 2,3 Mrd. Euro liegen. Die EBIT-Marge wird dabei weiter steigen. Ich gehe davon aus, dass Hypoport bis 2030 eine Marge von 20% bis 25% erreichen kann. Nach meiner Einschätzung wäre die Marge nur dann niedriger, wenn dafür das Wachstum höher ist und weiterhin neue Geschäftsfelder aufgebaut werden. Meine Annahme ist damit ganz klar, dass sich Hypoport als Unternehmen (schnell) weiterentwickeln wird und damit auch weiterhin jedes Jahr wertvoller wird.
Eine ganz andere Frage ist, was der Kurs – der Hund, der um den Unternehmenswert kreist – daraus macht. Von 2010 bis 2015 war die Entwicklung für die Investoren ja sehr zermürbend. Trotz der guten operativen Entwicklung ist der Kurs nur unterproportional gestiegen. Im Jahr 2010 lagen die Kurse im Jahresverlauf mehrheitlich zwischen 8 und 10 Euro (mit einem Tief bis 6 Euro). Anfang 2015 lag der Kurs auch nur bei 12 Euro. In dieser Phase ist der Hund weit hinter dem Herrchen zurückgeblieben.
Erst im Jahr 2015 (dem Jahr vor dem VERUS-Investment) hat sich der Kurs dann innerhalb eines Jahres auf über 75 Euro versechsfacht. Und trotzdem war der Kauf im Jahr 2016 für VERUS eine sehr gute Anlageentscheidung. Der Kurs ist bis 2021 zum Teil auf über 600 Euro gestiegen (und liegt jetzt bei ca. 530). Damit ist der Hund (mit einer Rendite von 88% p.a. seit Anfang 2015) der Unternehmensentwicklung (mit 20% bis 25% Wertsteigerung p.a.) natürlich weit davongelaufen (so wie er bis Anfang 2015 extrem weit zurückgeblieben war). Die Entwicklung des Kurses bis 2030 wird damit vermutlich hinter der Entwicklung des Unternehmens zurückbleiben. Bei den vorher vorgestellten Annahmen und einem Zielkurs von 1000 bis 1500 Euro (fast Verdoppelung bzw. Verdreifachung bis 2030) ergeben sich Bewertungsmassstäbe, die einem fitten Spaziergänger (der aber auch schon ein paar Kilometer hinter sich hat) angemessen wären. Ein Umsatzmultiple von 4 (ggü. 6,5 derzeit) und ein KGV von 25 sind dann sicher realistische Annahmen. Für den Anleger bedeutet ein Zielkurs von 1000 bis 1500 Euro im Jahr 2030 aber („nur“) ein Wertsteigerungspotenzial von 7,5% bis 12,5% p.a.
Soll man vor dem Hintergrund Hypoport verkaufen? Ich glaube nicht. Mit dieser Entwicklung wird Hypoport den Markt mit großer Wahrscheinlichkeit schlagen. Ich gehe beim Markt aufgrund der hohen Bewertungen für die nächsten 5-7 Jahre nur von einem Renditepotential von 4% bis 6% aus. Zudem ist man in ein Unternehmen investiert, dessen Entwicklung man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen kann, und das ganz wenigen Risiken ausgesetzt ist. Inflation? Lieferkettenprobleme? Unruhe in China? Forderungsausfälle? Kapitalintensität? Zusammenbruch des Euro-Raumes? Pleite von Italien? … Das alles sind für das Hypoport-Geschäftssystem keine Themen. Ja, ein Einbrechen der Immobilien-Umsätze – sowohl was Anzahl der Transaktionen als auch deren Wert betrifft – würde Hypoport treffen. Ist die Gefahr groß? Ich glaube nicht. Ich denke, dass die „Gefahr“, dass die Immobilienpreise in den nächsten 7 Jahren sich nochmals verdoppeln, weitaus größer ist – und daran würde Hypoport in den wichtigsten Geschäftsfeldern direkt proportional partizipieren, weil z.B. die Europace-Umstätze auf der Basis des darüber vermittelten Volumens abgerechnet werden.
Vor dreieinhalb Jahren im März 2018 hatte ich zwei gefallene Engel – Pandora S.A. und SNP-Schneider-Neureither – vorgestellt. VERUS war in beiden auch investiert. Die Beteiligungen wurden aber relativ rasch – aus unterschiedlichen Gründen auf die ich noch eingehe – wieder verkauft. Auch hier lohnt sich ein Blick zurück. Wie haben sich Spaziergänger und Hund entwickelt und war es richtig, nicht dabei zu bleiben?
Meine Investment-Strategie sieht meistens so aus, dass ich – wenn die Initial-Analyse ein gutes Ergebnis hat – eine erste Position in einem Unternehmen kaufe. Ich bin da vorsichtig. Man könnte das auch so etwa wie ein Probe-Investment sehen. Meine Erfahrung ist, dass ich erst dann, wenn ich ein Unternehmen länger intensiv verfolgt, ich dieses gut einschätzen kann. Erst durch die längere Beobachtung des Managements, durch die Veränderung der Kennzahlen je nach wirtschaftlichem Umfeld, etc. bekommt man ein sicheres Gefühl in der Einschätzung der Qualität des Unternehmens. Man könnte jetzt argumentieren, dass man dafür kein Erst-Investment machen muss. Da muss ich zugeben, dass das für mich ein Disziplinierungs-Instrument ist. Gute Ideen, die man nicht in Investments umsetzt, geraten schnell wieder aus dem Fokus. Ein Wert im Depot – auch wenn er klein ist – stellt sicher, dass man den Wert aktiv verfolgt. Und wenn dann der gute Eindruck sich verfestigt (und der Kurs vielleicht sogar gefallen ist), dann kann man ja aufstocken. Umgekehrt kann man sich auch mit überschaubarem Risiko wieder verabschieden, wenn die Unsicherheit mit der Beobachtung steigt. Auch das ist ein wichtiger Punkt: Langfristige Investmententscheidungen bedeuten nicht, dass man ewig an einem Investment festhalten muss. Wenn die Unternehmensentwicklung schlechter ist als angenommen, dann soll man auch Konsequenzen ziehen. Aber nicht, weil der Kurs sich verändert hat, sondern weil die Unternehmensentwicklung und damit der Blick auf das Unternehmen sich verändert hat.
SNP Schneider Neureither war so ein Fall. Bei SNP wurde Anfang 2018 so eine Erst-Position eingegangen und meine Erwartung war damals die folgende (vgl. hier):
Ich persönlich halte die 400 Mio. Umsatz (das vom Unternehmen damals selber als für das Jahr 2023 genannte Ziel) für zu optimistisch, insgesamt bin ich aber sehr zuversichtlich, dass es SNP gelingen wird, in ein paar Jahren EBIT-Margen von deutlich über 10% zu erwirtschaften. Ganz vereinfacht könnten die Kennziffern z.B. in 2021/22 dann so aussehen, dass bei einem Umsatz von 250 Mio. ein Ergebnis vor Steuern von 30 Mio. erwirtschaftet wird. Wenn der Marktwert an der Börse dann z.B. 400 Mio. beträgt (d.h. Kurs 73 je Aktie bzw. 240% des VERUS Einstandskurses von 30 Euro), dann hätten wir ein Marktwert/Umsatz-Verhältnis (P/S) von 1,6 (nicht 5 bis 8 für z.B. einen reinen Softwareanbieter) und ein Marktwert/EBIT-Verhältnis von 13. Damit wäre man (zumindest nach derzeitigen Maßstäben) trotz Verdoppelung nicht überbewertet.
Wo steht SNP heute? Der Spaziergänger ist deutlich langsamer unterwegs gewesen bzw. musste in paar Mal wieder zurücklaufen.
Der Umsatz in 2021(e) beträgt nicht 250 Mio., sondern nur 174 Mio. Euro. Und die EBIT-Marge liegt immer noch bei nur 5,7%. Meine Zuversicht in die Entwicklung von SNP hatte nach dem Kauf relativ rasch einen Dämpfer bekommen, weil offensichtlich wurde, dass die sehr rasch zugekauften Einheiten nicht so einfach und reibungslos integriert werden konnten. Damals gab es einiges an Chaos in der Entwicklung des Unternehmens – und das lag zu einem guten Teil in der Verantwortung des damaligen CEOs und Gründers – Herrn Schneider Neureither. Damals habe ich ein paar Informationen darüber erhalten, wie die Führung des Unternehmens sich in der Praxis abspielt – und das waren ganz klar rote Flaggen, die dann auch zu einem schnellen Ausstieg Mitte 2018 geführt haben (vgl. dazu meinen Beitrag hier). Dass es auch Probleme mit der Integrität des CEOs gegeben hat, ist spätestens seit dem Ableben von Herrn Neureither auch in den Medien dargestellt worden (vgl. z.B. hier).
Der Kurs von SNP hat sich in der Zeit sehr volatil entwickelt.
Vor dem Einstieg von VERUS hatte sich der Kurs schon von 50 Euro auf unter 30 Euro fast halbiert. Es sah damals so aus, als ob das übertrieben gewesen wäre. Der Ausstieg von VERUS im Mai/Juni 2018 war zu Kursen von knapp 34 Euro. Kurz darauf hat sich der Kurs dann aber nochmals auf gut 15 Euro halbiert! Dass VERUS da mit einem kleinen Gewinn herausgekommen ist, war Glück. Zu sehen, dass die Entwicklung nicht so war, wie man erwartet hatte, war hingegen schon der Tatsache geschuldet, dass man sich mit dem Unternehmen intensiv befasst hat. In der Folge ist der Kurs zwischenzeitlich Anfang 2021 aber wieder bis auf 72 Euro gestiegen (eine Verfünffachung vom Tief). Jetzt liegt der Kurs wieder bei unter 40 Euro.
In Summe sieht man, dass hier der Hund sehr nervös um den Spaziergänger herum rennt. Das Unternehmen ist seit 2018 sicher vorangekommen und hat jetzt auch eine neue Führung. Das Tempo ist aber deutlich langsamer als bei Hypoport. Wachstumsraten von gut 10% mit einer Verbesserung der Margen sind sicher realistisch. Aber das führt nicht dazu, dass der Case jetzt extrem spannend wäre. Das Kurs-Umsatzverhältnis beträgt immerhin 3 (auf Basis 2020). In Summe war es nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig richtig, hier ausgestiegen zu sein. Natürlich hätte man mit einem Einstieg 15 Euro und einem Verkauf über 70 viel Rendite machen können oder wäre natürlich auch eine Übernahme z.B. durch SAP zu einem höheren deutlich höheren Kurs möglich. Aber das ist wie gesagt reine Theorie und/oder Glück.
Die Geschichte bei Pandora ist sehr ähnlich.
Im Beitrag vom März 2018 schrieb ich:
Es stellt sich die Frage, aus welchem Grund aus dem einstigen Highflyer der Börse ein gefallener Engel wurde? Der Schlüssel ist der US-Markt, wo Pandora 25 % seines Umsatzes generiert. Das Wachstum ist auf diesem wichtigen Absatzmarkt zum Erliegen gekommen. Auslöser dafür ist ein geändertes Konsumverhalten. Shopping-Center werden weniger frequentiert, aber gerade dort war bzw. ist Pandora stark vertreten. Und weil die Aktie vor allem von US-Analysten bewertet wird, wird dieses US-Problem sehr hoch gewichtet.
Dabei wird aber übersehen, dass Pandora insbesondere in Asien weiterhin eine extrem positive Entwicklung verzeichnet und dass der Kursrückgang ja nicht nur den Aktienkurs, sondern auch die Bewertung sehr weit zurückgeführt hat. Die Gewinne sind seit 2016 ja nicht gesunken, sondern weiter deutlich gesteigert worden. Konkret hat Pandora den Umsatz im Jahr 2017 um weitere 12% gesteigert (15% in den eigenen Geschäften) und dabei einen Gewinn je Aktie von ca. 55 DDK erzielt. Bei einem Kurs von derzeit 560 DDK liegt das KGV damit schon bei fast 10.
Was ist daraufhin passiert: (Beitrag vom Juni 2018)
Der Kurs von Pandora hat sich im letzten Monat sehr negativ entwickelt. Der Grund dafür lag im Bericht für das erste Quartal 2018, der am 15. Mai veröffentlicht und von den Investoren sehr negativ aufgenommen wurde. Enttäuschend auch aus meiner Sicht war vor allem die Geschäftsentwicklung in China. Ich hatte in meinem Betrag vom März geschrieben, dass der Grund für den Kursrückgang seit Sommer 2016 das lahmende US-Geschäft ist, dass „aber übersehen (wird), dass Pandora insbesondere in Asien weiterhin eine extrem positive Entwicklung verzeichnet“.
Mit diesem Quartalsbericht und dem darin ausgewiesenen Geschäftsverlauf in China (negative Like-for-Like-Umsätze) ist dieses Argument leider nicht mehr zutreffend. Die Bewertung von Pandora auf dem jetzigen Kursniveau ist aufgrund der aktuellen Geschäfte natürlich trotzdem sehr niedrig. Die Risiken sind aber bedeutend gestiegen. Dass Pandora günstig bewertet ist, liegt ja nur am erzielten Gewinn und Cash-Flow und nicht etwa in der Substanz, die das Unternehmen hat. Wenn nun dieser Gewinn in den nächsten Jahren zurückgehen würde – was zwar laut Analysten-Schätzungen nicht erwartet wird, was aber ein nicht unrealistisches Szenario ist – dann hätte der Kurs von Pandora ganz wenig Sicherheitsnetz. Dann könnte die Bewertung zumindest temporär auch nochmals sehr stark fallen. Vor diesem Hintergrund habe ich mich bei VERUS entschieden, die vorsichtige Strategie zu wählen und bin großteils ausgestiegen.
Die realen Zahlen von Pandora haben sich in der Zwischenzeit so entwickelt:
Der Gegenwind, dem sich Pandora ausgesetzt gesehen hat, hat tatsächlich bis 2019 einen Ergebniseinbruch um 50% gegenüber 2017 gebracht – und in der Covid-Pandemie ist der Gewinn in 2020 dann nochmals auf nur noch 1/3 des Niveaus von 2017 eingebrochen. Hier haben wir ein Beispiel, bei dem der Spaziergänger – zumindest temporär – wirklich gestolpert und weit zurückgeworfen wurde.
In der Zwischenzeit sieht die Lage aber wieder anders aus. Es zahlt es sich jetzt aus, dass man den Fokus in den letzten Jahren auf das Online-Geschäft verlagert hat. Die Zahlen haben sich ganz klar verbessert. Bereits im nächsten Jahr werden die Umsätze vermutlich wieder das Niveau von 2018 erreichen. Und die Ergebnisqualität ist beeindruckend. Selbst in der Krise hat man eine EBIT-Marge von über 20% erwirtschaftet. Diese wird wieder über 25% steigen. Bezogen auf das eingesetzte Kapital sind diese Zahlen auch extrem positiv – der Return auf das buchmäßige Eigenkapital beträgt über 50%! Zudem hat Pandora die Krise und die niedrigen Kurse genutzt, um eigene Aktien zurückzukaufen. Die Anzahl der ausgegebenen Aktien ist im Zeitraum von 117 Mio. Aktien auf 100 Mio. Aktien gesunken – und das, ohne dass die Verschuldung von Pandora gestiegen wäre. (Und eine Dividende wurde in der Zeit zusätzlich auch bezahlt.)
Und was hat der Hund – der Aktienkurs daraus gemacht?
Der Kurs war extrem volatil. Der Ausstieg im Juni 2018 (vgl. hier) war zwar richtig. Die operativen Probleme haben sich sehr stark im Kurs niedergeschlagen – dieser ist gegenüber dem Kauf/Verkaufsniveau von VERUS um fast 2/3 gesunken. Und die Covid-Pandemie hat dem Kurs dann nochmals einen Nackenschlag mit Kursen unter 200 DDK gegeben. Aber bereits im Laufe des Jahres 2020 hätte man sehen können, dass der Spaziergänger hier nur einen temporären Rücksetzer hatte. Man hätte erkennen können, dass die grundsätzliche Marktstellung nicht erodiert ist und dass damit eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Spaziergänger wieder das alte Niveau erreicht und von dort weiter voranschreiten kann. Das hat der Markt auch antizipiert und der Kurs ist auf über 900 DDK gestiegen – eine Vervierfachung gegenüber den Tiefständen im Jahr 2020. (Und 65% höher als beim damaligen VERUS-Einstieg).
Aus heutiger Sicht ist es zwar wahrscheinlich, dass die weitere Unternehmensentwicklung positiv sein wird und man in 5 Jahren rückblickend einen Kauf auf diesem Niveau als gute Gelegenheit einschätzen wird. Die letzten Jahre haben aber auch gezeigt, dass das Geschäftssystem von Pandora – obwohl grundsätzlich sehr attraktiv – viel volatiler ist als z.B. das von Hypoport. Ein Kauf von Pandora sollte dann erfolgen, wenn der Ausblick nicht so positiv ist und der Hund sich gerade abgewendet hat. Dann hat man genug Sicherheitsmarge, um die Volatilität (nicht nur des Kurses, sondern auch des Tempos des Spaziergängers) auszugleichen – oder anders ausgedrückt, man muss genau dann den depressiven Mr. Markt – der dann Pandora sehr günstig anbietet – als Gelegenheit wahrnehmen. Diese Gelegenheit zu einem Rückkauf auf einem sehr günstigen Niveau habe ich in der Zeit von Frühjahr bis Herbst 2020 leider verpasst.
Alle diese Beispiele zeigen, dass man mit einer Langfrist-Perspektive und der Fokussierung auf das Unternehmen (und nicht den Aktienkurs) die Chance hat, gute Investment-Entscheidungen zu treffen und damit den Markt zu schlagen. Man ist natürlich nie vor Fehlern geschützt (sowohl den Fehler in das falsche Unternehmen zu investieren, als auch den Fehler eine Investition zu versäumen). Aber man kann die Chancen auf Erfolg größer machen. Man muss sich auf Unternehmen konzentrieren, die Qualität haben, tatsächlich Werte schaffen und dann an diesen Unternehmen festhalten. Dann arbeitet die Zeit für den Investor. Man muss sich aber auch von Werten trennen, die die fundamentalen Erwartungen nicht erfüllen (unabhängig vom Aktienkurs). Das Warten darauf, dass eine angeblich unterbewertete Situation (d.h. ein Spaziergänger, der sich nicht bewegt, in Kombination mit einem Hund der weit hinten ist) sich von selber auflöst, ist dagegen keine gute Investment-Strategie. Warren Buffett diese Erkenntnis – dass der Wert der Zeit für qualitativ gute Unternehmen (d.h. schnelle Spaziergänger) und für qualitativ schlechte Unternehmen (d.h. Spaziergänger, die sich nicht weiterentwickeln) völlig konträr ist – in betont prägnanter Form bei der Berkshire-Hauptversammlung in 1998 formuliert:
Time is the enemy of the poor business, and it’s the friend of the great business. I mean, if you have a business that’s earning 20% or 25% on equity, and it does that for a long time, time is your friend. And if you have a business that’s earning 5% or 6% on equity and you hold it for a long time, you are not going to do well in investing. Even if you buy it cheap to start with.