Investieren und Inflation

Die Daten sind eindeutig … Inflation ist da – und diese betrifft auch jeden Investor und seine Anlagestrategie.  Eine Grafik veranschaulicht das Hochschießen der Inflation in den letzten Monaten ganz eindrücklich.

In den Medien wird auch ausführlich über die Inflation berichtet und Werte von 7%, 8% oder gar 9% werden teilweise als das neue Normal dargestellt, auf das wir uns einstellen müssen. Sicher ist: Inflation wird so schnell nicht wieder verschwinden. Der massive Anstieg der Inflation, den wir in den letzten Monaten gesehen haben wird aber auch nicht in dem Tempo weitergehen. Das sieht man auch an der Grafik. Die Inflation wird derzeit vor allem durch die Energiepreise extrem man oben verschoben. Die Kerninflation – ohne die Energiepreise – liegt immer noch bei unter 3% und damit nur knapp über dem Ziel der Notenbanken. Diese Energiepreise bleiben vielleicht hoch, sie werden sich in den nächsten Jahren aber sicher nicht alle paar Monate um 50% erhöhen, wie wir das in den letzten Monaten gesehen haben. Und konstant hohe Preise bedeuten: 0% Inflation. Das ist wichtig zu verstehen – nur wenn die Energiepreise weiter ansteigen, tragen diese weiterhin zum Anstieg der Inflation bei. Wenn sich diese stabilisieren – auch auf hohem Niveau – bremst das die weitere Inflationsentwicklung.

Zwar werden sich über Zweitrundeneffekte die höheren Preise in vielen Bereichen auswirkten. Man sollte als Investor – im Hinblick auf die aktuellen Schlagzeilen – die aber „Kirche im Dorf lassen“. Ich sehe (noch) keine Gefahr einer galoppierenden und sich beschleunigenden Inflation. Das bedeutet aber nicht, dass Inflation für einen Investor kein Thema ist. Im Gegenteil – auch eine stabile Inflation von z.B. 3%-4% hat große Konsequenzen auf die Attraktivität von Unternehmensbeteiligungen. Es ist für einen Investor wichtig, sich auf eine neue Zeit mit Inflation einzustellen. Es sprechen einfach sehr viele grundsätzliche Faktoren dafür, dass uns das über das nächste Jahrzehnt weiter begleiten wird. Drei wesentliche sind:

  1. Die Globalisierung war in den letzten rund 30 Jahren eine der Hauptursachen für die sinkenden Preise für viele Güter, die wir nutzen.  Selbst wenn die Beziehungen zu China nicht angespannt wären und Covid uns nicht die Augen für die Risiken in der Lieferkette geöffnet hätte, gäbe es eine Grenze dafür, wie viel „Disinflation“ weitere Auslagerungen nach Bangladesch oder Vietnam bringen würden. Aber das Onshoring, das die Lieferketten weniger anfällig machen und unsere Abhängigkeit von China verringern soll, wird eindeutig inflationäre Wirkungen haben.
  2. Die demografische Entwicklung ist ungünstig – die Babyboomer gehen in den Ruhestand. Das Verhältnis zwischen Rentnern und Menschen im erwerbsfähigen Alter wird in vielen westlichen Ländern weiter stark steigen. Es wird weniger Arbeitskräfte geben. Und obwohl die zunehmende Zahl von Robotern den Arbeitskräftemangel lindern wird, wird dies wahrscheinlich zu einem Inflationsdruck führen (zumindest wenn wir nicht in der Zwischenzeit eine liberalere Haltung in Richtung Zuwanderung umsetzen).
  3. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels werden teuer sein. Wir werden zwar in 10 bis 20 Jahren vermutlich Strom sehr billig produzieren können, was uns eine gewisse Entlastung vom Inflationsdruck bringen wird. In der Zwischenzeit werden aber zusätzliche Kapazitäten gebaut werden, die zwar  umweltfreundlicherer, aber auch teurer in der Produktion sind. Der jetzt durch die Russland-Sanktionen forcierte Umstieg weg von Energie aus Russland wird diesen Effekt nochmals deutlich verstärken.

Warum ist das Thema Inflation für einen Investor von Bedeutung?

Inflation ist in der Wirkung wie eine Vermögenssteuer. Sie trifft zwar die Ärmsten der Gesellschaft über steigende Preise für ihre Lebenshaltungskosten am direktesten. Aber auch die Wohlhabenden werden voll getroffen, wenn sie ihr Vermögen nicht so investiert haben, dass ihr Kapital vor Inflation geschützt ist. Anleihen sind z.B. in einem inflationären Umfeld eine Katastrophe – das ist eindeutig. Selbst wenn die Zinsen so hoch wären wie die Inflation (was ich nicht erwarte), geht dem Anleger real nach Steuern laufend Kaufkraft verloren. Zudem erwarte ich eine Zeit der „finanziellen Repression“ (vgl. meinen Beitrag hier). Die Zinsen werden mit steigenden Inflationsraten zwar auch steigen – aber nicht so hoch wie die Inflation. Dieser negative Realzins erlaubt es den Staaten ihre Haushaltsschulden über Zeit „weginflationieren“ zu lassen. Und genau dieser Effekt wird alle Anleiheinvestoren (inkl. der indirekt über Lebensversicherungen, Pensionsansprüche etc. gehaltenen Vermögen) voll treffen.

Bei Aktien ist die Beurteilung schwieriger.  In den 1970er Jahren, dem letzten Zeitraum, in dem wir eine anhaltend hohe Inflation hatten, hielten die Aktienindizes auch nicht immer Schritt mit der Inflation. Nur ausgewählte Gruppen von Aktien konnten eine reale Rendite erzielen. Einfach nur zu sagen, „man muss in Aktien investieren, um sich vor den negativen Einflüssen der Inflation zu schützen“ greift deshalb zu kurz. Man muss auch in die Unternehmen investieren, die selber von Inflation nicht oder wenig betroffen sind.

Welche Unternehmen bieten Inflationsschutz?

Es gibt mehrere idealtypische Fälle von Geschäftsmodellen, die sich in einem Inflationsumfeld gut entwickeln können.

Die klassische Form des Inflationsschutzes sind Beteiligungen an Unternehmen, die eine hohe Preissetzungsmacht haben. Der Gewinn eines Unternehmens liegt ja immer in der Differenz zwischen den realisierten Umsätzen und den damit verbundenen Kosten. Wenn ein Unternehmen

  • auf der einen Seite aufgrund von Inflation mit höheren Kosten (für Rohstoffe, Personal, …) konfrontiert ist und
  • auf der anderen Seite mit einer Wettbewerbssituation, bei der Preiserhöhungen nur schwer durchsetzbar oder mit Umsatzeinbussen verbunden sind,

dann ist Inflation ein echtes Problem. Die Margen gehen in den Keller – das Unternehmen verliert an Wert. Wenn das Angebot des Unternehmens aber so ist, dass die Nachfrage im Fall von Preisanpassungen unelastisch ist, dann ist Inflationsschutz gegeben. Wenn Microsoft morgen die Monatslizenz für einen Office-Account für einen Nutzer von beispielhaft 9,80 auf 10,50 erhöht (was einer Steigerung von über 7% entsprechen würde), dann wird das keinerlei Kündigungswelle auslösen, weil jede Firma auf diese Software angewiesen ist und diese weiter genutzt wird. Firmen mit starken Wettbewerbsvorteilen und damit Preissetzungsmacht sind ein echter Inflations-Hedge. Oder  wie Warren Buffett das sehr treffend gesagt hat. ‘Be the best doctor in town and you will be protected from inflation‘. Solche Qualitätsunternehmen bzw. „best doctors in town“ stehen aber schon länger im Fokus der Investoren und sind entsprechend hoch bewertet.

Eine andere Form des „automatischen Inflationsschutzes“ sind gebührenbasierte Einnahmen. Wenn die Einnahmen eines Unternehmens immer einem konstanten Prozentsatz der Transaktionen der Kunden entsprechen, dann ist Inflationsschutz quasi automatisch eingebaut. Wenn die Preise steigen und die Gebühren daran gekoppelt sind, dann steigt der Umsatz ohne eigene Preisanpassungsnotwendigkeit einfach mit. Typische Beispiele für solche Geschäftsmodelle sind z.B. Zahlungsdienstleister. Aber auch z.B. Hypoport mit der Europace-Plattform. Auch bei bestimmten Formen des Handels gilt das. Ein Beispiel ist Medios, die ich in einem eigenen Beitrag vorgestellt habe (vgl. hier). Medios beliefert Apotheken und hat dabei eine relativ geringe Marge. Bei den Apotheken besteht aber kein Preiswettbewerb – die Rohertrags-Marge bezieht sich auf das Volumen, das mit steigenden Preisen automatisch größer wird.

Eine dritte etwas komplexere Form des Inflationsschutzes sind „Sunk Costs“. Die Grundidee ist, dass sich die Kapitalrenditen immer an den Wiederbeschaffungskosten orientieren. Um das zu verstehen sehen, wir uns einfach ein hypothetisches Beispiel an: z.B. einen Stahl-Hersteller der (modellhaft)

  • auf Basis einer vor ein paar Jahren neu gebauten Anlage, Herstellungskosten von 100 für eine Tonne produzierten Stahl hat,
  • wovon 50 als Fixkosten auf die Produktionsanlage und 50 auf die variablen Kosten für Rohstoffe, Personal etc. entfallen.

Wenn die Anlage durch die Inflation nach ein paar Jahren jetzt aber 50% mehr kostet und die variablen Kosten von einem Jahr auf das andere um 10% ansteigen, dann hat der Stahlhersteller

  • nominell (d.h. in seiner Buchhaltung ) Kosten pro Tonne Stahl von 105 (davon 50 fix für die Anlage (keine Steigerung, da Anlage bereits steht) und 55  variable Kosten (plus 10%)).
  • Mit Wiederbeschaffungskosten gerechnet, belaufen sich die Kosten aber auf 130! (die Produktion mit einer neuen Anlage hätte Kosten von 75 zur Folge (50% Mehrkosten) zuzüglich der variablen Kosten von 55).

Der Preis am Markt wird sich langfristig immer an den Wiederbeschaffungskosten orientieren, weil sonst eine Investition in eine neue Anlage nicht rentiert und das Angebot so lange zurückgehen wird, bis der Preis für eine Neu-Investition wieder auskömmlich ist. Firmen, die sich Fixkosten aus Investitionen in der Vergangenheit gesichert haben (und diese Anlagen noch lange nutzen können) haben damit in inflationären Zeiten ein sehr attraktives Profil. Ein Beispiel dafür könnten auch Immobilienentwickler sein, die z.B. hohe Bebauungsreserven (zu günstigen Preisen) in ihrer Bilanz haben. Oder Energieunternehmen mit Kraftwerken, die noch lange Restnutzungszeiten haben. Oder Minen deren Erschließung Jahre dauert und deren Nutzungszeit dann auch Jahrzehnte sein kann.

Spannend ist das, weil das Umfeld in den letzten Jahrzehnten immer mehr „capital-light“ Unternehmen mit hohen Renditen begünstigt hatte. Unternehmen mit niedrigen Renditen waren weniger attraktiv. Inflation könnte jetzt plötzlich auch kapitalintensive Unternehmen attraktiv machen, die einen Investitionszyklus abgeschlossen haben und von diesen Investitionen jetzt profitieren können. Das wird bei Anlegern ein ziemliches Umdenken erfordern – hier könnten sich Chancen auftun.

Warum belasten höhere Zinsen die Aktienkurse?

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt sind die mit Inflation zu erwartenden höheren Zinsen. Diese werden zwar nach meiner Erwartung nicht extrem steigen – für Wachstumsunternehmen, die ihre freien Cash-Flows erst in weiter Zukunft haben, kommt so ein Umfeld aber einem Gewitter nach einer langen Schönwetterphase gleich. Der dramatische Absturz dieser Werte, die wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, ist damit zum Teil auch erklärbar. Viele hochgelobte Börsenstars sind mit Verlusten von 50%, 70% oder auch 80% weit abgestürzt und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Im Portfolio von VERUS hat es dabei auch Hypoport erwischt. Hypoport weist zwar Gewinne aus und ist damit, mit den oftmals Cash-Flow-negativen Verlust-Unternehmen an der Nasdaq nicht vergleichbar.  Aber auch Hypoport muss erst in die Bewertung hineinwachsen, die für die Firma schon bezahlt wurde. Im Moment wird hier von den Investoren ein Negativszenario eingepreist – nicht nur weil die steigenden Zinsen dem Barwert der Cash-Flows verringern, sondern auch weil Befürchtungen da sind, dass diese steigenden Zinsen eine Krise am Immoblienmarkt auslösen könnten und damit das Transaktionsvolumen von Hypoport zurückgehen könnte. Ich persönlich teile die Bedenken nicht und halte den „automatischen“ Inflationsschutz im Falle von steigenden Immobilienpreisen bei weiterer Inflation langfristig für viel wichtiger, als ein ggf. möglicher temporärer Rückgang des Immobilien-Transaktionsvolumens  in Deutschland.

Höhere Zinsen können auf die Bilanzen von Unternehmen aber auch positive Auswirkungen haben – auch das wird von den Anlegern im Moment nicht thematisiert. Wenn Unternehmen hohe Pensionsverpflichtungen haben, dann sind sinkende Zinsen eine extreme Belastung, weil immer höhere Kapitalanforderungen gegeben sind, um diese Verpflichtungen abzudecken. D.h. bei sinkenden Zinsen steigen die Pensionsschulden immer weiter an. Das ist ein Effekt, den wir in den letzten Jahren beobachten konnten. Steigende Zinsen haben jetzt aber den umgekehrten Effekt. Agfa ist ein sehr gutes Beispiel dafür.

  • Per 31.12.2021 hatte Agfa Pensionsverpflichtungen von 1,96 Mrd. Euro (das entspricht über 12 Euro je Aktie!!).
  • Diese Verpflichtungen waren in Höhe von 1,28 Mrd. mit hinterlegten Vermögenswerten gedeckt und die Differenz von 674 Mio. steht als Verbindlichkeit in den Büchern (das entspricht über 4 Euro je Aktie).
  • Wenn der anzuwendende Diskontierungszins nur um einen halben Prozentpunkt (von derzeit 1,42% auf 1,92% steigt), dann verringern sich diese Verbindlichkeiten um 124 Mio.  (das entspricht fast 80 Cents je Aktie, d.h. fast 20% der Marktkapitalisierung und des ausgewiesenen Eigenkapitals von Agfa).

Steigende Zinsen entlasten damit die Bilanz von Agfa ganz erheblich und haben damit einen positiven Einfluss auf den Enterprise Value. Diese Effekt trifft natürlich alle Firmen mit hohen Pensionslasten. E.ON hatte z.B. per Ende des GJ 2020 eine Sensitivität von fast 30% des Eigenkapitals auf eine Veränderung des Zinssatzes um 0,5%. Flossbach hat in einer Studie zu diesem Effekt (auf Basis GJ 2020, d.h. ein Jahr alt) eine Sensitivität von über 30 Mrd. Euro für die DAX-Unternehmen berechnet. (vgl. hier). Im Falle von strukturellen Zinserhöhungen können wir jedenfalls sehr substantielle Verbesserungen im  Hinblick auf die Pensionsverpflichtungen erwarten.

Konsequenzen für Investoren: 

Wir stehen im Hinblick auf die Inflations- und damit auch Zinsentwicklung vermutlich an einem Wendepunkt. Wir haben 40 Jahre lang sinkende Zinsen erlebt, ein fabelhafter Rückenwind für die meisten Vermögenswerte und für den Einsatz von Fremdkapital. Die Inflation wird das nächste Jahrzehnt vermutlich höher sein, als wir das im letzten Jahrzehnt erlebt haben. Ich persönlich glaube, dass sich diese eher in der Range von 3% bis 4% anstelle der 0% bis 2% im letzten Jahrzehnt bewegen werden.  Die Zinssätze werden zwar auch steigen, diese können aufgrund der enormen Staatsverschuldung aber nicht so stark ansteigen, was für eine finanzielle Repression spricht, bei der die Zinssätze niedrig gehalten und die Staatsschulden über negativer Realzinsen entwertet werden.  Die Zeiten, in denen alle Zentralbanken Angst vor Deflation hatten (und entsprechend Liquidität in die Märkte gepumpt haben) wird jedenfalls bis auf weiteres der Vergangenheit angehören. Jetzt wird Liquidität verknappt und an der Zinsschraube gedreht. Und das ist ein echter Wendepunkt in der Wirtschaftsentwicklung, den man auch in die Anlagestrategie einfließen lassen muss.